Am 12. und 13. Mai 2010 fand in Madrid das Media for Science Forum 2010 statt (vgl. auch Media for Science Forum 2010 – eine Vorschau). Organisiert wurde das Forum von The Spanish Foundation for Science and Techonology (FECYT) im Rahmen der EU Ratspräsidentschaft Spaniens. Zielsetzung des Forums war es, sich mit den strategischen Fragestellungen von Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus auseinanderzusetzen. Die Ankündigung liess einen hoch aktuellen und interaktiven Kongress erwarten – diese Erwartungen wurden aber nicht ganz erfüllt.
Als internationaler Kongress war die Konferenzsprache zwar englisch, einige spanische Referenten zogen es aber dennoch vor, in ihrer Muttersprache zu präsentieren und zu diskutieren, was das Mitverfolgen trotz Simultanübersetzung nicht gerade erleichterte.
Inhaltlich konnte man eigentlich eine intensive und kritische Diskussion zu den Einflüssen der neuen Medien und insbesondere der Social Media und Web 2.0 auf die Wissenschaftskommunikation erwarten. Aber leider nur selten gingen die Darstellungen über eher allgemeine Beiträge und vom jeweiligen Standpunkt des Referenten geprägten Sichtweisen hinaus, eine tiefergehende Analyse wurde kaum geboten. Auch die Moderatoren der als Round Tables angekündigten Diskussionsrunden vermochten es nur selten entsprechende Diskussionen in Gang zu bringen. So waren die Sessions oft die Summe von mehr oder weniger ergiebigen Einzelreferaten und eher allgemeinen Fragen und Antworten. Nichtsdestotrotz gab es auch einige Highlights. Eine Zusammenfassungen der wichtigsten Erkenntnisse aus den Round Tables gab es keine.
Auf Twitter wurde parallel unter dem Hashtag #mfsf fleissig mitdiskutiert und somit auch nicht anwesendes Publikum eingebunden; da es aber keine Twitterwall o.ä. gab, fand die Twitter Diskussion weitgehend unabhängig von der Diskussion im Raum ab. Immerhin wurden knapp 1500 Tweets (in Englisch und Spanisch) mit dem Hashtag #mfsf an den zwei Tagen verschickt, Zeichen einer intensiven Online Diskussion (Sammlung aller Tweets). Photos vom Forum sind auf flickr.com verfügbar.
Eines der innovativen Highlights war die von Alexander Gerber (@InnoVisions) vorgestellte Online Plattform, auf der parallel zum Forum im Saal eine Debate 2.0 Online initiiert wurde. Das vorgestellte und konkret angewandte Tool ermöglicht neue Formen der Kollaboration und Diskussion, eben eine Debatte 2.0, und somit eine innovative Form von Wissenschaftskommunikation. In einem Blogbeitrag scienceblogs.de: ”From Peer Review to Crowd Review” werden die Hintergründe ausführlich beschrieben und diskutiert.
Einige Highlights aus den einzelnen Sessions: (Programm)
Es ging los mit der Session „Science Journalism and Science Communication in the Knowledge Society“. Hier wurden vor allem die unterscheidenden Merkmale zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten hervorgehoben. Während Wissenschaftler aus einer bestimmten Perspektive Forschung betreiben und kaum unter Zeitdruck stehen, müssen Wissenschaftsjournalisten die Perspektive – quasi mit einer Lupe – schärfen, da Nachrichten einem nicht-wissenschaftlichen Publikum verkauft werden müssen. Dabei stehen Journalisten häufig unter Zeitdruck. Wissenschaft hat Gesellschaften verändert, aber dies nur mit Hilfe der Medien – so behauptete selbstbewusst Quentin Cooper von der BBC.
Luis Serrano stellte fest, dass Wissenschaftler heute nicht genügend trainiert sind im Umgang mit Medien, Journalisten andererseits oft nicht die Kenntnisse haben, Wissenschaft richtig zu verstehen. Er monierte, dass die Öffentlichkeit zu wenig erfahre über die Wissenschaft und ihre Zusammenhänge; und dass Wissenschaft zunehmend missbraucht werde, z.B. im Rahmen der Werbung, was wiederum negativ auf die Glaubwürdigkeit insgesamt wirkt. Ausserdem kritisierte er, dass immer häufiger die political correctness bestimme, was Wissenschaftler kommunizieren.
Serrano betonte auch, dass Wissenschaft an sich neutral sei und die Gesellschaft letztendlich über die Nutzung der Ergebnisse entscheiden müsse.
Immer wieder wurde vom Spannungsfeld Wissenschaft – Journalismus und dem fehlenden, gegenseitigen Vertrauen gesprochen
Die zweite Session beschäftigte sich mit „New trends for science communication“.
Der Blogger Javier Pedreira, der auch als @wicho twittert, erreicht nach eigenen Aussagen mit seinem Blog microsiervos mehr Leser als die meisten Tageszeitungen in Spanien. Er hob das grosse Potential der Social Media hervor und erwähnte vor allem die gute Messbarkeit der Reaktionen, bleib aber ansonsten eher allgemein in seinen Aussagen.
Alexander Gerber (@InnoVisions) wies in diesem Zusammenhang auf die drohende Unübersichtlichkeit von zu viel Interaktivität hin und stellte Tools für neue Formen der Visualisierung und Kollaboration von Online Diskursen vor, u.a. Cohere, Compendium oder Debategraph. Eine Anwendung ist unter Media for Science: Debate 2.0 zu finden.
Gerber mahnte, dass es noch an empirischen und methodischen Erkenntnissen zum sinnvollen Einsatz der verfügbaren Technologien fehle. Sein Beitrag zeigte sehr gut auf, wohin die Reise gehen kann und wo die Herausforderungen liegen.
In der dritten Session „Main actors for communicating science“ wurden die verschiedenen Perspektiven der Akteure aufgezeigt.
Der Journalist Tim Radford ist seit 32 Jahren beim Guardian und zeigte die historische Entwicklung auf. Er mahnte die Journalisten an, dass trotz – oder gerade wegen – der Tatsache, dass so vieles Online zu finden ist, dass Gespräch mit dem Wissenschaftler unersetzbar ist, um wirklich neues zu entdecken. Die Komplexität von Wissenschaft zeigte er anhand des Wortschatze, den Shakespeare für seine Werke benötigte, nämlich 30‘000 Worte. Aber allein für das Fach Biologie listet das Oxford Dictionary heute 60‘000 Wörter auf!
Hans Peter Peters diskutierte vor allem das Konzept Medialization of Science mit den Aspekten der Institutionalisierung, Professionalisierung, strategischen Nutzung und den sich verändernden regulatorischen Kontexten für die Forschenden (vgl. Hans Peter Peters et al. (2008): Medialization of science as a prerequisite of its legitimization and political relevance.)
Angesprochen wurde auch in dieser Session immer wieder das fehlende Verständnis und Vertrauen zwischen Journalisten und Wissenschaftlern. Steve Miller erwähnte dazu ein prägnantes Beispiel und kommentierte es mit „fantastically well written rubbish“.
In der letzten Session des ersten Tages „Public perception and participation in science“ thematisierte Hanns-Joachim Neubert das Verhältnis zwischen Wissenschaftlern und den Bürgern: Wissenschaftler berichten über Lösungen zu Problemen – aber die Leser bzw. Bürger wissen gar nicht, dass es ein Problem gibt bzw. sehen dies nicht; andererseits haben Bürger Probleme, die aber die Wissenschaftler nicht erreichen.
Der zweite Tag begann mit der Session „The future of science journalism“.
James Gillies (@JDGillies) sagte klar, dass Social Media fester Bestandteil des Wissenschaftsjournalismus sein wird und dass die traditionelle Rolle der Journalisten als Gatekeeper nicht mehr funktioniere: „the gates are open“: Aber im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung war für ihn klar, dass Journalisten zukünftig eher mehr gefragt sein werden als zuvor.
Ruth Francis (@roobina) zeigte auf, wie Nature – notabene als traditioneller Verlag – konsequent auf Online Kanäle und Social Media (u.a. network.nature.com, @naturenews) für komplementäre Informationen, aktuelle Nachrichten und Interaktion mit den Lesern setzt. Für sie stellen sich die neuen Medien nicht als Bedrohung dar – andere Referenten sprachen u.a. von ‚Krieg‘ in diesem Zusammenhang -, sondern klar als Ergänzung und Bereicherung.
In der Session „Scientific Information Platforms“ wurden abschliessend die Systeme Cordis der EU, AlphaGalileo, IdW, Expertanswer und Athena Web kurz vorgestellt. Alle Systeme versuchen auf unterschiedliche Weise eine Brücke zu schlagen zwischen (Wissenschafts-) Journalisten bzw. der Öffentlichkeit und Wissenschaftlern.
Das Media für Science Forum 2010 ging zu Ende mit eher philosophischen und vor allem politischen Betrachtungen.
Bildquelle: flickr.com/hdz (CC Lizenz)
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