Sieben Hochschulen der Bodenseeregion arbeiten disziplin- und grenzüberschreitend zusammen – KMUdigital will Innovationsfähigkeit der Region steigern
Die Digitalisierung führt schon jetzt zu radikalen Umwälzungen von Geschäftsmodellen und Prozessketten, die gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) existenzbedrohend sein können. Sie haben aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen und hohen Spezialisierung kaum die Möglichkeit, adäquat auf diesen Wandel zu reagieren. Wie KMU die Herausforderung Digitalisierung gerade auch in der Vierländerregion Bodensee mit Überschreitung einer EU-Außengrenze meistern können, werden sieben Hochschulen in den kommenden vier Jahren untersuchen und erarbeiten. Die Mitgliedshochschulen der Internationalen Bodensee-Hochschule IBH haben sich zum Ziel gesetzt, mit dem IBH-Lab „KMUdigital“ die Forschungs- und Innovationsfähigkeit der Region zu steigern. Die Forscherinnen und Forscher sind interessiert an Kooperationen mit Unternehmen und Kammern. Sie wollen bei den KMU Verständnis für die sich ergebenden Chancen und Risiken wecken und sie wissenschaftlich begleiten und fördern.
Neben dem IBH-Lab „KMUdigital“ unterstützt die Internationale Bodensee-Hochschule IBH mit dem IBH-Living Lab „Active & Assisted Living“ und dem IBH-Lab „Seamless Learning“ zwei weitere Forschungs- und Innovationsnetzwerke in der Bodenseeregion. Die Initiative zur Einrichtung der IBH-Labs geht auf die Internationale Bodensee-Hochschule IBH und die Internationale Bodenseekonferenz zurück. Das Interreg-Programm „Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein“ fördert das Lab mit mehr als zwei Millionen Euro.
Die Hochschulen gehen damit neue Wege in der Forschungskooperation. Innerhalb des IBH-Labs KMUdigital wollen sie mit Hilfe der intensiven Zusammenarbeit über Disziplin- und Landesgrenzen hinweg die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Region stärken. In ihren Forschungsaktivitäten betrachten sie den digitalisierten Produktionsvorgang an sich (Shopfloor), den Einfluss der Digitalisierung auf Geschäftsprozesse, Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung sowie die nötigen politischen Rahmenbedingungen. Die Lab-Leitung liegt bei der Hochschule Konstanz – Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), die weiteren beteiligten Hochschulen sind die FH Vorarlberg, die FHS St. Gallen, die NTB Buchs, die Pädagogische Hochschule Thurgau, die Zeppelin Universität und die ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Prof. Dr. Oliver Haase, Vizepräsident Forschung der HTWG Konstanz, stellt heraus:
„Der innovative Charakter des Labs KMUdigital besteht darin, die um den See vorhandene Expertise zu bündeln, um die Chancen und Auswirkungen für die wichtigsten Unternehmen der Region, den Mittelstand, ganzheitlich zu untersuchen.“
Teilprojekte von Management bis Produktion
Das Lab hat bereits drei Teilprojekte definiert, die den Prozess von Management bis Produktion widerspiegeln. Je nach Projekt sind unterschiedliche Hochschulen involviert.
So wird das Projekt DigiNav von den Hochschulen FHS St. Gallen (Leitung), NTB Buchs, HTWG Konstanz und der ZHAW ausgeführt. Es betrachtet Anforderungen an die Managementebene. Fragen werden beispielsweise sein: Wie kann ein Unternehmen durch gezielte Digitalisierung Reaktionszeiten verkürzen und die Wertschöpfungskette optimieren, wie Services als neue Geschäftsfelder vorantreiben, wie den Kunden einbinden, wie nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufbauen und schützen? Das Besondere: All dies soll zusammen mit Unternehmen erarbeitet werden und sich der Bewertung unter den Gesichtspunkten Kosten, Nutzen, Risiken, technologische Machbarkeit stellen. Der Projektleiter Prof. Dr. Christian Thiel stellt heraus:
„Ziel des Projektes ist es, ein systematisches Vorgehen für die Erhebung, Analyse und Umsetzung der Digitalisierungspotenziale in KMUs zu entwickeln, das im Gegensatz zu bestehenden Ansätzen im ersten Schritt nicht von den technologischen Möglichkeiten, sondern vom Nutzen und vom Beitrag zum Geschäftserfolg ausgeht.“
Ergebnis des Projektes ist die Bereitstellung eines Digitalisierungsnavigators für mittelständische Unternehmen, damit diese Potenziale für das eigene Unternehmen systematisch identifizieren und die Umsetzung geeigneter Maßnahmen einleiten können.
In dem auf zwei Jahre angelegten Projekt I4production (Leitung HTWG, weitere Partner FH Vorarlberg, NTB Buchs, RhySearch) stehen die Fragen im Mittelpunkt: Wie werden produzierende Unternehmen künftig mit Lieferanten kommunizieren, wie sieht eine virtuelle Zulieferstruktur aus? Wie Logistik über die EU-Außengrenze hinweg? Das Projekt erstreckt sich konkret von Softwareentwicklungen bis zu Machbarkeitsstudien. Ziel ist die Entwicklung und Simulation einer vernetzten Prozesslandkarte 4.0 für den Bodenseeraum. Konkret soll dies geleistet werden durch die Weiterentwicklung und Vernetzung der bestehenden digitalen Modellfabriken der Hochschulen NTB Buchs, HTWG Konstanz und der Modellwerkstatt der FH Vorarlberg zu einer digitalen Demo-Fabrik. Dank der geographischen Verteilung dieser Fabrik stehen für die KMU direkte Ansprechpartner in den beteiligten Partnerstaaten Schweiz, Deutschland und Österreich zur Verfügung.
„Mit dem Projekt i4Production entsteht eine dezentrale, grenzüberschreitende Produktion eines kundenindividuellen Internet-of-things-Produktes unter realen Anforderungen. Mit der Demofrabrik werden wir neue Möglichkeiten der Effizienzoptimierung sowie neue Geschäftsmodelle in solchen Lieferketten untersuchen und testen können“,
sagt Projektleiter Dr. Marcus Kurth, Professor für Automatisierung an der HTWG.
Dienstleistungen und Geschäftsmodelle werden sich stark verändern. Die damit verbundenen Fragestellungen an die rechtlichen Rahmenbedingungen werden im dritten Teilprojekt behandelt: Unter dem Titel „digitale Agenda Bodensee“ (DAB) ergründen die Zeppelin Universität (Leitung), FHS St. Gallen und die HTWG Konstanz, welche Rahmenbedingungen innerhalb der Länder, aber auch über die Landesgrenzen hinweg gegeben sein müssen, damit auch kleine und mittlere Unternehmen Digitalisierung gewinnbringend umsetzen können. Im Fokus stehen politische Voraussetzungen, Regulierungen, Kompetenzentwicklungen. Mit Partnern aus der Praxis sollen Handlungsempfehlungen zur kurz-, mittel- und langfristigen Gestaltung von Rahmenbedingungen zur Unterstützung, Profilierung und Kompetenzentwicklung von KMUs erarbeitet werden. Prof. Dr. Markus Rhomberg, Leiter des Zentrums für Politische Kommunikation an der Zeppelin Universität, freut sich auf das Projekt:
„Die Möglichkeit, wissenschaftliche Analyse in praktisches Handeln zu übersetzen und auf einer internationalen Dimension Impulse für die Zukunft zu liefern, sind jene Aspekte, die für uns die Faszination dieses Projekts ausmachen“.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler legen Wert darauf, nicht im Elfenbeinturm zu forschen. Während aller Projektphasen ist die Einbindung von Unternehmen gewünscht, die Ergebnisse sollen früh kommuniziert werden. Unter anderem sind Workshops zum Thema in der gesamten Bodenseeregion geplant, KMUdigital wird in etwa viermonatigem Rhythmus Roadshows an wechselnden Standorten anbieten. Die Planungen sind ambitioniert, doch Ulrich Hutschek von der HTWG Konstanz, der mit dem Management des Labs betraut ist, betont:
„Wir fangen nicht bei Null an. Alle beteiligten Hochschulen forschen bereits zum Thema Digitalisierung. Die spezialisierten Kompetenzen werden nun gewinnbringend für die weitere Forschung und zugunsten der KMU der Region zusammen geführt.“